Kirche und Kloster der Chorherren mit dem doppelten roten Kreuz in Denkendorf bei Esslingen.
Geschichte des Kloster Denkendorf:
Das Wappen von Denkendorf ist das Patriarchenkreuz von Jerusalem.
Das Kreuz mit dem doppelten Querbalken findet man auf den Grabmalen in der Vorhalle der Klosterkirche, an der Kanzel und auf Schlusssteinen im Gewölbe von Kreuzgang und Kapitelsaal. Es weist darauf hin, dass die Gründung des Klosters Denkendorf in die Zeit der Kreuzzüge und Pilgerfahrten nach Jerusalem fällt.
Eine teure Pilgerfahrt:
Um 1125 unternahm der Ortsherr von Denkendorf, ein Edler Bertholdus, eine solche Pilgerfahrt ins Heilige Land, um in der Grabeskirche von Jerusalem zu beten. Er besaß auf dem heutigen Klosterhügel eine dem Pelagius geweihte Eigenkirche, die zwischen 1050 und 1100 erbaut worden war. In Jerusalem stiftete er seine Kirche in Denkendorf mit allen Einkünften dem Chorherrenorden vom Heiligen Grab, der dem Patriarchen von Jerusalem unterstand. Der Patriarch sandte daraufhin einen Chorherren nach Denkendorf mit dem Auftrag, hier eine Niederlassung des Ordens der Brüder vom Heiligen Grab zu gründen. So ist Kloster Denkendorf entstanden. Die erste Urkunde über die neue Gründung stammt aus dem Jahr 1129.
Das Kloster wächst:
Zunächst bauten sich die Chorherren an der Seite der Kirche eine Unterkunft, das erste romanische Kloster. Von ihm ist heute nichts mehr erhalten. Bis zum Jahr 1200 war der Orden durch Schenkungen wohlhabend genug geworden, um an den Bau einer neuen und größeren Kirche zu denken. Die alte Kirche wurde abgerissen. Nur der Turm blieb stehen. Er ist heute der älteste erhaltene Teil. Die Denkendorfer Klosterkirche wurde zwischen 1200 und 1250 erbaut.
Geheimnisse der Krypta:
In der neuen Kirche sollte vor allem ein Raum entstehen, wo in besonderen Gottesdiensten die Verbundenheit der Chorherren mit ihrer Mutterkirche, der Grabeskirche in Jerusalem, zum Ausdruck kommen konnte. Die Krypta wurde dafür erbaut. An dem leeren Grab feierten die Ordensbrüder wie am Heiligen Grab in Jerusalem den Tod und die Auferstehung Jesu. Durch dieses Grab wurde die Krypta zum geistigen Mittelpunkt des ganzen Klosters. Ihr wertvollster Schmuck sind die Skulpturen an den Kämpfern mit Motiven und Ornamenten: Geheimnisvolle Masken, Tiere und Pflanzen sind ineinander verschlungen.
„Klein-Jerusalem“ in Denkendorf:
1291 brach die Kreuzfahrerherrschaft in Palästina endgültig unter dem Druck der Mamelucken zusammen. Die Gläubigen aus Deutschland erhielten nun für eine Pilgerfahrt zur Grabeskirche in Denkendorf, besonders am Karfreitag, denselben Ablass wie vorher für das Gebet am Heiligen Grab in Jerusalem. Denkendorf wurde zur stark besuchten Wallfahrtskirche. Auch ein Pilgerfriedhof aus dieser Zeit ist gefunden worden. Noch heute kann man in der Gegend den Spitznamen „Klein-Jerusalem“ für Denkendorf hören.
Zwischen den Fronten:
Um 1130 stellte Papst Honorius II. die Propstei unter päpstlichen Schutz und sicherte ihr die freie Wahl des Propstes zu. König Konrad III. gewährte dem Stift 1139 das Recht, einen eigenen Vogt zu wählen und stellte es unter den Schutz des Königs. Dieser Schutz wurde von weiteren Herrschern bestätigt, so 1181 durch Friedrich I., 1226 und 1228 durch Friedrich II., 1291 durch Rudolf I. und 1299 durch Albrecht.
Den weltlichen Schutz des Klosters hatte zunächst der Kaiser als Schirmvogt übernommen. Solange während der Stauferzeit die Kaiser zugleich Herzöge waren, genügte das. In der darauffolgenden Zeit war der Kaiser zu weit, um wirksamen Schutz bieten zu können. Das Kloster geriet in die Machtkämpfe zwischen der Reichsstadt Esslingen und den aufstrebenden Grafen von Württemberg. Es wurde 1377 von den Esslingern zerstört und erholte sich davon nur mühsam. Erst als der Städtekrieg zugunsten der Fürsten entschieden war und die württembergischen Landesherren für immer die Schirmvogtei übernahmen, konnten die Chorherren an einen dauerhaften Wiederaufbau denken. Zwischen 1449 und 1508 wurden Kapitelsaal und Kreuzgang, zu dem auch das südliche Seitenschiff der Kirche gezogen wurde, in spätgotischem Stil neu erbaut.
Kunstverständige Pröpste:
Die letzten Pröpste vor der Reformation, Peter Wolff (1477-1508), Johannes Unger (1508-1516) und Martin Altweg (1516-1521) waren als Ratgeber des Herzogs auch persönlich eng mit dem Haus Württemberg verbunden. Wolff und Unger waren Taufpaten der späteren Herzöge Ulrich und Christoph. Als Prälaten hatten sie Sitz und Stimme im Landtag. Ihre Bildnisse auf den Grabsteinen in der Vorhalle der Kirche spiegeln ihr Lebensgefühl als mächtige Herren. Unger ließ sich auch auf dem Altarbild im Chor als Stifter darstellen. Baufreudig bereicherten diese Pröpste Kloster und Kirche um manche Kostbarkeit. Johannes Unger und Martin Altweg ließen den Fensterbogen der Krypta mit Fresken aus dem Leben ihrer Schutzheiligen, Johannes des Täufers und des heiligen Martin, ausmalen. Dass sie als Kapellmeister des Herzogs Freude an der Musik hatten, zeigen die musizierenden Engel zwischen den Blattranken.
Die Reformation muss warten:
Die Reformation konnte in Denkendorf ohne Unruhen durchgeführt werden. Einige der Denkendorfer Chorherren hatten sich schon auf ihren auswärtigen Pfarrstellen für die Lehre Luthers entschieden, als im Juni 1535 eine offizielle Abordnung des Herzogs unter der Führung von Ambrosius Blarer in Denkendorf eintraf, um eine Erklärung über die Annahme der Reformation einzuholen. Der Propst Ulrich Fehleisen erreichte zunächst einen Aufschub; er brachte vor, die Chorherren seien nicht alle anwesend, sondern auf ihren Pfarrstellen tätig und mit dem Einbringen der Ernte beschäftigt. Die Verhandlungen wurden mit Rücksicht darauf abgebrochen und nach der Ernte wieder aufgenommen.
Verschiedene Chorherren nahmen die evangelische Lehre an und wurden als Prediger angestellt; den anderen wurde freigestellt, ob sie das Kloster mit einer Leibrente verlassen oder bis zu ihrem Tod bleiben wollten. Der Propst selbst trat nicht zum evangelischen Glauben über, war aber dem Herzog treu ergeben.
Ein guter Rat:
Verschiedene Chronisten berichten, Propst Ulrich Fehleisen sei es gewesen, der später Herzog Christoph den Rat gegeben habe, die Klöster in Klosterschulen zu verwandeln. Junge Leute sollten hier durch eigene Lehrer unter der Leitung eines Prälaten auf das Theologiestudium in Tübingen vorbereitet werden. Aus diesen Klosterschulen entstanden später die heutigen evangelischen Seminare. Denkendorf hat offenbar als erste dieser Klosterschulen in Württemberg schon 1553 mit dem Unterricht begonnen. 1556 erfolgte dann die offizielle Einführung der Klosterschulen für das ganze Land. 14 Klöster wurden damals in Klosterschulen umgewandelt; bald aber stellte sich heraus, dass diese Zahl für das kleine Land zu groß war. Schon im Jahr 1584 wurde deswegen die erste Denkendorfer Klosterschule zusammen mit anderen Klosterschulen wieder aufgehoben.
Die Propstei Denkendorf mit den ihr unterstellten Pfarreien und weltlichen Gütern blieb weiter bestehen, und von 1599 bis 1804 war der Propst von Denkendorf zusammen mit den Äbten von Adelberg, Bebenhausen und Maulbronn einer der vier Generalsuperintendenten bzw. Prälaten der Württembergischen Landeskirche. Viele der Prälaten waren zugleich Hofprediger in Stuttgart und wohnten nur zeitweise in Denkendorf, wo ein ständiger Verwalter eingesetzt war. Erst als im Jahr 1692 bei der Plünderungszügen Ludwigs XIV. gegen das Rheinland das Kloster Hirsau von den Franzosen völlig zerstört worden war, dachte man daran, in Denkendorf wieder eine Klosterschule unterzubringen.
Nach Jahren der Vorbereitung und des Umbaus wurde diese zweite Klosterschule 1713 eröffnet. Damit begann für Denkendorf eine neue Blütezeit. Außer dem Propst zogen zwei Klosterpräzeptoren in Denkendorf ein, dazu etwa zweiundzwanzig 14-16jährige Schüler, die vorher in Stuttgart durch das „Landexamen“ auf ihre Tauglichkeit geprüft worden waren. Nach zwei Jahren Unterricht in Denkendorf kamen sie in eine der sogenannten „Höheren Klosterschulen“, Bebenhausen oder Maulbronn, von wo der Weg dann weiterging ins Tübinger Stift und an die Universität.
Klosterpräzeptor Bengel und seine Freunde:
Die Geschichte der zweiten Denkendorfer Klosterschule ist eng mit dem Namen Johann Albrecht Bengel verbunden. Er zählt zu den bedeutendsten evangelischen Theologen in Württemberg. Bengel kam als junger Mann gleich 1713 als Klosterpräzeptor nach Denkendorf und arbeitete hier 28 Jahre lang. Ungefähr 300 württembergische Theologen sind in dieser Zeit von ihm unterrichtet worden. Die Begegnung mit Bengel war für viele dieser Schüler ein bleibender Eindruck. Nicht nur durch seine Schriften, auch durch seine Schüler und Freunde hat Bengel dem württembergischen Pietismus seine eigenständige Prägung gegeben. Die Klosterschule in Denkendorf wurde durch Bengel weithin bekannt. Eine große Anzahl einflussreicher Männer und bedeutender Theologen seiner Zeit besuchten Bengel. 1717 z.B. kam seinetwegen August Hermann Franke, der berühmte Theologe und Pädagoge aus Halle, nach Denkendorf, und 1723 besuchte ihn Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, der Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine. Die zweite Denkendorfer Klosterschule bestand knapp hundert Jahr. Zu ihren Schülern hat in einer der letzten Promotionen auch Friedrich Hölderlin gehört.
Der Staat greift zu:
Auch in der Zeit nach der Reformation hatte das Kloster seine Güter, die über das ganze Land verstreut lagen, selbständig verwaltet. Die Bewohner der Klosterorte Denkendorf, Berkheim und Altdorf waren zum Teil noch dem Kloster leibeigen, weithin aber lehenspflichtig und fronpflichtig. Im Jahr 1806 erklärte der erste württembergische König, Friedrich I., das ganze Kirchengut zu staatlichem Besitz. 1810 musste die Schule Denkendorf verlassen. Sie wurde nach Kloster Schöntal verlegt.
Das Kloster wird Senffabrik:
Der Staat, der nun alle Güter und Rechte des Klosters übernahm, wusste mit den alten Gebäuden nichts anzufangen. Versuche mit einer Runkelrübenzuckerfabrik, einer landwirtschaftlichen Schule und einer Senffabrik mussten aufgegeben werden. Das Kloster ging durch mehrere Hände, bis es 1838 der Fabrikant Friedrich Kauffmann aus Esslingen übernahm und eine Senf und Likörfabrik darin errichtet. Während in der Zeit vorher manches Alte abgerissen oder umgebaut worden war, bemühte sich die Familie Kauffmann sehr um die Erhaltung und sinnvolle Neugestaltung. In ihren Händen blieb das Kloster bis 1905; dann musste die Fabrik wegen der in Denkendorf fehlenden Eisenbahnverbindung nach Ebersbach/Fils verlegt werden. „Kauffmann Klostersenf“ blieb bis in unsere Zeit der Markenname eines ihrer Erzeugnisse. Der Enkel von Friedrich Kauffmann, Fritz Alexander Kauffmann, hat in seinem Buch „Leonhard“ seine Kindheit in Denkendorf beschrieben.
Beim Wegzug der Firma Kauffmann erwarb der Staat die Gebäude zurück; einige Jahre war eine Präparandenanstalt für künftige Lehrer im Kloster, von 1921 bis 1933 dann das erste süddeutsche Volkshochschulheim für Mädchen unter der Leitung von Frau Dora Weber. Im „Dritten Reich“ benützte die NSDAP die Räume des Klosters; nach dem Krieg waren Flüchtlinge darin untergebracht.
Das Kloster seit 1945:
Um 1948 kaufte die Evangelische Landeskirche die Klostergebäude und gründete in ihnen das Evangelische Diakonieseminar Denkendorf, das von 1950 bis 1972 der Ausbildung von Gemeindehelferinnen und Katechetinnen diente. Seit 1972 befindet sich im Kloster die Landeskirchliche Fortbildungsstätte für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im gemeindebezogenen Dienst (inzwischen: Fortbildungsstätte für Gemeinde und Diakonie). Hinzugekommen ist im Frühjahr 1997 das Pastoralkolleg, ehemals Freudenstadt, das Fortbildung für Pfarrerinnen und Pfarrer der Landeskirche anbietet.
Einen eigenen Schwerpunkt bildet im Kloster Denkendorf das jüdisch-christliche Gespräch mit Kursen, Begegnungstagen und Studienreisen.
Quelle: Kloster Denkendorf, Hg. von der Fortbildungsstätte Kloster Denkendorf.